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4. Februar 2025

Vom Spaß zur Sucht? Wenn Medien zum Problem werden

Im Gespräch mit Medienpädagogen Dejan Simonović über Medien- und Gamingsucht

von Pauline Rothfuß

„Du bist doch süchtig!“ – ein Satz, den Kinder und Jugendliche häufig von ihren Eltern hören, wenn sie stundenlang am Handy hängen, zocken oder im Internet surfen. Und sie haben nicht ganz Unrecht: Medien können tatsächlich zur Sucht werden. So schön es ist, zu streamen, zu spielen oder zu scrollen – wenn es kein Aufhören mehr gibt, kann der Spaß in ein Suchtverhalten umschlagen, das sowohl das soziale Leben als auch die psychische Gesundheit beeinträchtigt. Von einer Mediensucht sind laut einer Studie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf rund 680 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland betroffen. Auch Erwachsene mit Mediensucht benötigen immer mehr Hilfe. 

Dejan Simonović ist Experte für den Umgang mit Medien und Gaming. Er ist Medienpädagoge und Koordinator der ComputerSpielSchule Stuttgart am Stadtmedienzentrum Stuttgart. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was eine Medien- und Computerspielsucht ausmacht, wie die ComputerSpielSchule zur Aufklärung beiträgt und wie Eltern ihre Kinder im Umgang mit Medien unterstützen können.

Viel Zocken heißt nicht gleich Sucht

Bei der Frage, wie man eine Mediensucht erkennt, stellt Dejan Simonović ganz klar fest: Eine Mediensucht ist nicht an der reinen Nutzungszeit von Medien zu bemessen. Von Sucht kann man weder nach einem durchgezockten Wochenende sprechen noch wenn man stundenlang ein Spiel testet, dass gerade neu erschienen ist.

„Auch wenn ich zwölf Stunden zocke, muss es nicht gleich sein, dass ich süchtig bin.
Umgekehrt ist es natürlich schon so: Wer süchtig ist, der spielt auch viel.“

Anstatt nur auf die Nutzungszeit zu schauen, untersuchen Beratende im Verdachtsfall vor allem die Gesamtsituation. Sie schauen, wie die betroffene Person mit anderen Bereichen des Lebens umgeht und darin „funktioniert". In der Regel sind Süchte immer mit anderen Problemen im Leben verbunden, erklärt Simonović. Daher wird bei der Suchtthematik nicht nur die Frage danach gestellt, wie lange man Medien benutzt oder zockt. Erst wenn der Mediengebrauch über einen längeren Zeitraum hinweg hoch sei, persönliche Lebensbereiche wie Schule, Freundschaften, Beziehungen oder Hobbys beeinflusse und man „das Leben nicht mehr auf die Reihe bekommt“, kann eine Sucht vermutet werden, so der Medienpädagoge.

Die drei Erkennungskriterien von Mediensucht

Mediensucht ist eine medizinisch definierbare Krankheit, die sich mit einem Kriterienkatalog der Weltgesundheitsorganisation definieren und diagnostizieren lässt. Medien- und Computerspielsucht gehören mit u. a. Glücksspiel oder Kaufsucht zu den stoffungebundenen Süchten, den Verhaltenssüchten.

Laut dem aktuellen Kriterienkatalog der WHO, dem ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), definiert sich krankhafte Mediennutzung dadurch, dass Betroffene über den Zeitraum von mindestens einem Jahr immer wieder so viel Medien nutzen, dass drei Dinge auffallen:

  • Sie haben keine Kontrolle mehr darüber, wie lange oder wie intensiv sie spielen bzw. Medien benutzen, und wann sie aufhören sollten.
  • Betroffenen ist die Mediennutzung, also z.B. das Zocken, wichtiger als alles andere im Leben. Sie machen es zu ihrer absoluten Priorität.
  • Jemand Medien- bzw. Spielsüchtiges verändert sein Verhalten nicht, auch wenn es negative Folgen verursacht, wie Streit mit der Familie oder Probleme in der Schule.

Erste Schritte bei Sorgen zu Mediensucht

Mit der Sorge, ihr Kind könne medien- oder computerspielsüchtig sein, kommen häufig Eltern oder Groß­eltern zur Beratung der ComputerSpielSchule. Oft stellt sich dann bei genauer Betrachtung heraus, dass es im Umfeld des Kindes keine Probleme gibt und die Eltern oder Großeltern können entwarnt werden, erzählt Dejan Simonović. Durch die Beratung könnten dann meist die Konflikte und Probleme geklärt werden, indem die Medienpädagogen der ComputerSpielSchule bestimmte Spiele einschätzen, erklären und Ratschläge zum Medienver­halten geben. 

Trotzdem rät Dejan Simonović in den Gesprächen auch zu einer professionelle Beurteilung und verweist bei kritischen Fällen dann zur Diagnose an medizinische Stellen wie Psychiatrien, Suchtkliniken oder Suchtberatungsstellen. Laut Deutscher Suchthilfestatistik gibt es in Deutschland etwa 1300 Suchtberatungsstellen. Etwa fünf Prozent der Diagnosen im Jahr 2022 betrafen Verhaltenssüchte im Zusammenhang mit Medien.

Gibt es süchtig-machende Gaming-Mechanismen?

Fortnite, Clash of Clans oder League of Legends – zumindest gehört haben viele schonmal von einem dieser Games. Sie haben eins gemeinsam: Es handelt sich um Service-Games. Durch kontinuierliche Updates erhalten Spielende bei Service-Games regelmäßig neue Inhalte, was den Reiz erhöht, das Spiel über eine längere Zeit hinweg immer weiterzuspielen – Schließlich könnten ja wieder neue Charaktere, Levels oder Spielerweiterungen veröffentlicht werden. Das steigert Motivation, Spannung und Interesse der Spielenden.

Durch solche Games können Communitys ent­stehen, sie machen es Spielenden aber auch leicht, sich im Wettbewerb zu messen. Simonović erklärt, dass die damit zusammenhängenden Belohnungs- und Monetarisierungsmechanismen in Games vor allem Vorteile für die Entwickler/-innen dar­stellten, wie durch eingeblendete Werbung oder im Spiel kaufbare Gegenstände. Gerade bei mobilen Handy-Games heiße es zudem häufig, dass man sich mehrfach am Tag einloggen müsse, um „am Ball zu bleiben und Belohnungen nicht zu verpassen“. 

Simonović betont jedoch, dass die gängigen Mechanismen solcher Spiele vor allem dann einen Suchtfaktor darstellen, wenn sich eine Person bereits in einer schwierigen Situation befindet, zum Beispiel für Menschen in Lebenskrisen oder Kinder und Jugendliche, die mit Problemen im Freundeskreis oder in der Familie zu kämpfen haben. Daher legt der Medienpädagoge großen Wert darauf, den Mythos von Videospielen, die süchtig machen, für falsch zu erklären und betont:

„Zu sagen, die Spiele sind schuld, ist totaler Blödsinn, sondern man muss halt einfach den Gesamtkontext betrachten.“

Außerdem weist er auf die positiven Auswirkungen von Gaming hin, auch in Zeiten, in denen viel gespielt wurde, wie während der Corona-Pandemie. Die Pandemie sei durch Isolation und beschränkte Kontaktmöglichkeiten für Jugendliche eine soziale Katastrophe gewesen, erklärt er. Dadurch, dass Gamer/-innen sich sowieso viel online austauschten, konnten soziale Kontakte in der Zeit aber besser aufrechterhalten werden. Auch jetzt sei die Welt so stressig und kompliziert, dass Medienkonsum, Gaming und Fantasiewelten einem bei der Verarbeitung helfen können. Die Nutzung von Gaming auf diese Art sei sehr wichtig, denn sich permanent mit großen Problemen auseinanderzu­setzen, sei auf Dauer nicht gesund.

„Man braucht irgendwo einen Moment, um ein bisschen verschnaufen.“

Wie können Eltern Ihre Kinder unterstützen? 

Pädagogische Fach­kräfte wie Dejan Simonović fordern Eltern und Erwachsene auf, die empfängliche Altersgruppe von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen, die während des Heranwachsens mit einer Vielzahl an digitalen Möglichkeiten konfrontiert wird. Er wünscht sich, dass Eltern sich damit auseinandersetzen, was ihre Kinder spielen und mehr Interesse statt Skepsis zeigen. Da gebe es keine Pauschallösung, sagt er, und ermutigt Eltern, die sich nicht mit Spielen auskennen, sich im Zweifel bei jemandem Rat zu holen, der das besser einordnen könne, wie zum Beispiel bei den Angeboten der ComputerSpielSchule oder bei Bekannten und Freund/-innen, die viel spielen. Eine solche Unterstützung von Bezugspersonen kann Kindern und Jugendlichen helfen, sich verstanden zu fühlen und sich im medialisierten Alltag zu entwickeln. 

Beim Thema Mediensucht werden durch den bagatellisiert verwendeten Begriff des „süchtig machens“ häufig vorschnell Urteile getroffen, gleichzeitig aber auch Süchte verharmlost. Mediensucht ist es sich um eine Verhaltensstörung, die ernst genommen werden muss. Weder Computerspiele noch andere Medien sind per se schlecht oder machen süchtig, aber es gibt Mechanismen, die das Suchtverhalten fördern und in Kombination mit anderen Problemen zur Sucht führen können. Wichtig sind daher bewusstes Konsumieren, Informieren und die Unter­stützung von Betroffenen.

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