Gaming als Therapie? – Wie Videospiele die mentale Gesundheit stärken können
von Jana Schäfer
Videospiele sind eine der beliebtesten Freizeitaktivitäten unserer Zeit. Laut der JIM-Studie 2024 spielen fast drei Viertel der Jugendlichen regelmäßig digitale Spiele, 73 % sogar täglich oder mehrmals pro Woche. Während oft über die negativen Auswirkungen des Gamings diskutiert wird – wie exzessive Bildschirmzeit oder die Gefahr der Spielsucht –, soll es in diesem Beitrag um die positiven Effekte gehen, insbesondere im Hinblick auf die mentale Gesundheit.
In den letzten Jahren ist das wissenschaftliche Interesse an den potenziellen Vorteilen von Videospielen gestiegen. Mehrere Studien zeigen, dass der moderate Konsum von Videospielen die Stimmung der Spieler/-innen verbessern und zur Entspannung beitragen kann, darunter auch die internationale Studie „Power of Play“ 2023 der Entertainment Software Association (ESA).
Besonders bemerkenswert ist, dass depressive Stimmungen bei Menschen mit moderatem Spielkonsum weniger ausgeprägt sind als bei jenen, die entweder gar nicht oder übermäßig viel spielen.
Serious Games und Games for Health
Neben reiner Unterhaltung gibt es eine Kategorie von Spielen, die gezielt entwickelt wurden, um Verhaltensänderungen anzustoßen, Wissen zu vermitteln oder bestimmte Gesundheitsziele zu fördern. Diese sogenannten Serious Games haben oft einen pädagogischen oder therapeutischen Zweck. Innerhalb dieser Kategorie gibt es eine spezielle Untergruppe: Games for Health (DG4H – Digital Games for Health). Diese Spiele werden in Bereichen wie Therapie und Rehabilitation eingesetzt und können beispielsweise bei Erkrankungen wie ADHS, Depressionen, Krebs oder nach einem Schlaganfall unterstützend wirken.
Ein Beispiel ist „EndeavorRx“, das erste von der US-amerikanischen FDA zugelassene Videospiel zur Behandlung von ADHS. Es wurde speziell für Kinder entwickelt und hilft, die Aufmerksamkeit und kognitive Kontrolle zu verbessern. Ebenso wird „Re-Mission“ eingesetzt, um krebskranken Kindern ein besseres Verständnis ihrer Krankheit zu vermitteln und ihre Therapietreue zu steigern.
Ein Beispiel für ein Spiel, das speziell zur Behandlung von Depressionen entwickelt wurde, ist „SPARX“. Es basiert auf kognitiver Verhaltenstherapie (CBT) und hilft Jugendlichen dabei, negative Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern.
Serious Games mit sportlicher Betätigung, sogenannte Exergames, können nicht nur körperliche Fitness fördern, sondern auch psychische Symptome lindern. Erste Studien deuten darauf hin, dass gezielt eingesetzte Videospiele eine positive Wirkung auf das Stresslevel haben und sogar als ergänzende Behandlungsoption in der Psychotherapie genutzt werden könnten.
Neurobiologische Effekte und das Flow-Erlebnis beim Gaming
Videospiele können die Produktion von Dopamin fördern, einem Neurotransmitter, der für Motivation und Belohnung verantwortlich ist. Dies kann die Stimmung heben und langfristig zur emotionalen Stabilität beitragen. Viele Spieler/ -innen berichten zudem von einem sogenannten „Flow“-Zustand – einem mentalen Zustand völliger Vertiefung, der Glücksgefühle auslöst. Dieser Zustand wird oft mit erhöhter Kreativität, Produktivität und emotionalem Wohlbefinden in Verbindung gebracht. Flow-Erlebnisse können insbesondere bei Strategie-, Puzzle- oder Rollenspielen auftreten, in denen Herausforderungen bewältigt und Fortschritte erzielt werden.
Soziale Vorteile des Gamings
Ein oft unterschätzter Faktor ist das soziale Miteinander im Gaming. Viele Videospiele sind Multiplayer-Erfahrungen, in denen Gamer/ -innen online miteinander interagieren. Das kann das Gefühl der Verbundenheit stärken und Einsamkeit entgegenwirken. Besonders für Kinder und Jugendliche sind gemeinsame Spiele wichtig, da sie so Freundschaften aufbauen und soziale Fähigkeiten entwickeln können.
Ein bekanntes Beispiel ist „Minecraft“, das sowohl allein als auch im Multiplayer-Modus gespielt werden kann. Besonders in der Covid-19-Pandemie wurde es genutzt, um gemeinsam kreativ zu sein und soziale Bindungen zu stärken. Auch „Among Us“, ein soziales Deduktionsspiel, fördert die Kommunikation und Teamarbeit und bringt Menschen weltweit zusammen.
Stressabbau durch Cozy Games
Nicht alle Videospiele sind actionreich oder kompetitiv – einige sind gezielt darauf ausgelegt, eine beruhigende Wirkung zu haben. „Animal Crossing: New Horizons“ ist ein perfektes Beispiel für ein Spiel, das durch seine entspannte Atmosphäre und den Fokus auf kreative Gestaltung dabei helfen kann, Stress abzubauen. Spieler/ -innen können in ihrer eigenen virtuellen Welt entschleunigen, was besonders in herausfordernden Zeiten wie der Pandemie vielen geholfen hat. Diese Art von Spielen wird in der Gaming-Community als „Cozy Games“ bezeichnet und erfreut sich bereits seit einiger Zeit großer Beliebtheit.
Kulturelle Unterschiede beim Gaming
Die Wahrnehmung von Videospielen und deren Einfluss auf die mentale Gesundheit variiert je nach kulturellem Kontext. Während in westlichen Ländern oft die potenziellen Gefahren des Gamings betont werden, wird in Ländern wie Japan oder Südkorea ein stärkerer Fokus auf die positiven Aspekte gelegt. In Südkorea gibt es beispielsweise professionelle E-Sport-Programme, die Gaming als ernstzunehmende Karriereoption fördern. In Japan sind Videospiele tief in die Gesellschaft integriert und werden oft auch als Mittel zur Förderung kognitiver Fähigkeiten genutzt. Diese kulturellen Unterschiede zeigen, dass Gaming nicht nur eine Freizeitbeschäftigung ist, sondern auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung haben kann.
Zwischen Entspannung und Risiko
Die Auswirkungen von Videospielen auf die mentale Gesundheit sind vielschichtig und hängen stark von den individuellen Umständen ab. Studien zeigen jedoch, dass ein bewusster und maßvoller Einsatz von Videospielen positive Effekte haben kann – von Stressabbau über eine gesteigerte Stimmung bis hin zur Unterstützung therapeutischer Maßnahmen. Gaming kann mehr sein als nur Unterhaltung – es kann eine wertvolle Ressource für mentale Gesundheit sein.
Dennoch dürfen die potenziell negativen Aspekte nicht außer Acht gelassen werden. Exzessives Spielen kann zu problematischem Verhalten führen, insbesondere wenn soziale Kontakte oder Verpflichtungen vernachlässigt werden. Spielsucht ist ein ernstzunehmendes Problem, und wer den Verdacht hat, betroffen zu sein, sollte sich professionelle Hilfe suchen. Ein ausführlicher Artikel zu diesem Thema ist hier zu finden.